1924 bis 1932
Gründungsjahre
(…) «Doch sannen immer mehr einsichtige Erzieher über die merkwürdige Erscheinung nach und entdeckten schliesslich auch, dass die ganze Bewegung einem dringenden Zeitbedürfnis entgegenkam. Sie erkannten in steigendem Masse, dass im Jugendwandern überaus wertvolle Momente liegen und räumten mit Erfolg der Wanderbewegung einen Platz in ihren Tätigkeitsplänen ein.»[1]
«Wo übernachten die jungen Wandersleute?» – Der Schweizer Jugend wird geholfen
Kurz nach 8 Uhr treffen an der Gartenhofstrasse 1 in Zürich-Wiedikon die ersten Sitzungsgäste ein. Am heutigen 28. April 1924 soll umgesetzt werden, was in den vergangenen Monaten angedacht und diskutiert wurde: Die Gründung einer Zürcher Genossenschaft für Jugendherbergen. Die 24-jährige Protokollführerin Gertrud Zinner, Ökonomiestudentin aus einer Gewerkschaftsfamilie und in der Antialkoholbewegung engagiert, schreibt von «ca. 60 - 70 Anwesenden, die eine nicht-offizielle Vertretung der Jugendvereinigungen des Platzes Zürich darstellen». Begrüsst werden sie vom Vorsitzenden Ernst Schuler, dem Vertreter der «Freischar». Er hat sich in den verschiedenen Zürcher Jugendorganisationen schon längst gut vernetzt und wird an der Versammlung zum ersten Präsidenten gewählt.
Die Anwesenden bauen darauf, dass sie bereits bestehende Ferienheime und Gasthäuser als Herbergen anbieten können. Die Gründer*innengeneration hat auch bereits Adressen für Übernachtungsmöglichkeiten zusammengetragen, die am Treffen Ende April aufliegen. Da die meisten engagierten jungen Leute nicht über eine «Geldflut» verfügen, wird grosser Wert daraufgelegt, dass das Mitmachen für alle erschwinglich ist. Der Anteilschein für die Genossenschaft kostet denn auch nur 10 Franken, wobei eine Teilzahlung à mindestens 20 Rappen möglich ist und der gesamte Beitrag auf fünf Personen aufgeteilt werden kann.[2] Die auch damals vergleichsweise tiefen Preise sind bei der Gründung wichtig, denn alle Jugendlichen sollen sich eine Herbergsübernachtung leisten können. Mindestens die Hälfte der Schlafplätze wird für Schweizer Jugendliche reserviert sein, damit sie auf den Wanderungen sicher ein Dach über dem Kopf finden. An eine Altersbeschränkung denkt vorerst niemand, werden doch im Selbstverständnis nur Jugendgruppen angesprochen.
Zu einer Zeit, in der das Frauenwahl- und Stimmrecht noch in weiter Ferne ist und das männliche Stimmvolk im Kanton Zürich im Jahr zuvor den Frauen eben erst sogar die Wahl in Kirchen-, Schul- und Armenpflegen verweigert hat, sind bereits bei der Lancierung auffällig viele weibliche Gründerinnen mit von der Partie. Die Abstinenzlerin Gertrud Zinner und Gertrud Honegger vom Mädchenheim Gartenhof stellen zusammen mit den Freischälern Ernst Schuler und Albert Kern, den Wandervögeln Alfred Farner und Max Oehler sowie dem schon etwas älteren Lehrer Emil Jucker von Pro Juventute den ersten Vorstand. Sie werden von einem Arbeitsausschuss, der 15 Mitglieder umfasst, unterstützt.
Mit viel Elan stellt die Gruppe Adressen für Unterkünfte zusammen und kann bereits knapp zwei Monate nach der offiziellen Gründung, am 21. Juli 1924 das erste Herbergsverzeichnis vorlegen. Die Erstauflage ist ein Flugblatt mit zwölf Jugendherbergen und vier Unterkünften mit Heulagern.[3] Dem bescheidenen Start folgt im Herbst das erste Verzeichnis als Broschüre mit bereits 26 Jugendherbergen.
Aber was ist denn bei der Gründung eine «Jugendherberge»? Damit ein Ort auf die Liste genommen wird, soll er neben Übernachtungsmöglichkeiten – mit Betten oder Schlafplätzen im Stroh – ein Dach über dem Kopf mit einer Kocheinrichtung bieten.
Das Deckblatt der Frühlingsausgabe 1925 schmückt wie im Vorjahr ein junger Obstbaum, aber das Heft ist schon dicker: Von den 53 Herbergen sind sechs Frauen vorbehalten und acht nur Männern. Neben den Adressen finden sich neu auch Richtlinien und eine Herbergsordnung.[4]
Das rasante Wachstum darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in den ersten Jahren auch immer wieder zu Schliessungen kommt. Sei es, weil es an der Hygiene fehlt, oder weil Herbergseltern den Rank mit den jungen Leuten nicht finden. Um selbstverantwortlich ein Haus betreiben zu können, ist der Zürcher Verband auf der Suche nach einem geeigneten und bezahlbaren Objekt. Im Dezember 1925 ist es so weit: Die Zürcherische Genossenschaft mietet im sankt-gallischen Amden mit dem «Im Hölzli» zum ersten Mal ein Haus als Jugendherberge an. Schon zwei Jahre später muss sie den Standort wegen eines Skandals aber wieder aufgeben. Ein Nachbar beschwert sich, dass dort ganz Unsittliches geschehe, weil er mit dem Fernstecher beobachten kann, dass junge Männer sich am Brunnen «oben ohne» waschen.[5]
Das Herbergenverzeichnis wächst und wächst
Die Zürcher Idee findet auch in Basel Gefallen: Dort wird am 3. April 1925 der Verein für Jugendherbergen gegründet und noch im selben Jahr, am 21. November, zieht Bern nach. Damit man sich nicht auf die Füsse tritt, teilen die drei Organisationen ihre Wandergebiete in abgetrennte Kreise auf.
Basel und Zürich führen ab 1925 ein gemeinsames Verzeichnis, in dem 82 Adressen aufgeführt werden. Sehr erfreulich ist, dass der Preis für eine Logiernacht sinkt. Wer eine der fast 280 «Benützerkarte» für 1 Franken gekauft hat, nächtigt in den meisten Herbergen für ein «Füfzgerli».
Bern, Basel und Zürich entwickeln zusammen auch die ersten Ideen, einen Dachverband zu gründen. Die drei Organisationen treffen sich 1926 unter freiem Himmel auf dem Bötzberg und wählen Anton Portmann aus Basel, den Berner Fritz Allimann und die Zürcher Botanikerin Marthe Schwarzenbach in den Bundesvorstand, die Frau im Trio auch gleich zur ersten Geschäftsleiterin. Nun gibt es Gründungen auch in den Kantonen Luzern, Aargau und Solothurn und die drei Vereine schliessen sich zwischen 1926 und 1929 an.
Bereits am 18. September 1927 ist ein offizieller Verein als «Bund Schweizerischer Jugendherbergen» ins Leben gerufen worden, um der Bewegung einen rechtlich verbindlichen Rahmen zu geben. Bis im Kriegsjahr 1943 stossen mit Waadt, Neuenburg, Genf, St. Gallen, Thurgau, Tessin, Schaffhausen und Zug acht weitere Kreise dazu. Sie alle haben einheitliche Mitgliedkarten und werden vom nationalen Bund beworben. Wichtig ist ihnen aber, ihre Autonomie nicht zu verlieren und so werden die verschiedenen Jugendherbergen der angeschlossenen Kreise durch diese direkt verwaltet.
Die Verbindung zu den Gründungsorganisationen ist nach wie vor eng: Bis sie 1929 mit «Die Schweizerische Jugendherberge» eine eigene Zeitung gründen, dürfen die Jugendherbergen das Organ der Wandervögel mitnutzen. Die Bundesgeschäftsstelle wird von der Pro Juventute geführt. Otto Binder ist in Personalunion Sekretär der Stiftung Pro Juventute und von 1932 bis 1944 des Bunds der Schweizer Jugendherbergen.
Nicht vergessen geht in den Gründungsjahren der Impuls, der von Deutschland ausging. Der deutsche Jugendherbergsverband gibt denn auch seinen «Bruderverbänden» immer wieder gerne Tipps zum Aufbau der Organisation und des Herbergsnetzwerks.[6] Fast noch lieber als den gut gemeinten Rat hätten die Schweizer eine finanzielle Förderung. Leider ohne Erfolg: «Heute läuft auch ein Unterstützungsgesuch des neuen schweizerischen Bundes für Jugendherbergen ein. Hierbei kommt aber nur eine Absage in Betracht, da Wanderungen deutscher Jugend nach der Schweiz durchaus nicht unbedingt nötig sind und andererseits dieses recht wohlhabende Land seinerseits die nötigen Aufwendungen zur Hebung des Fremdenverkehrs machen kann.»[7]
[1] Otto Binder, Jugendwandern und Jugendherbergen in der Schweiz, ohne Jahresangaben, ohne Seitenangabe (Publikation zur Wanderausstellung des Schweizerischen Bundes für Jugendherbergen.
[2] Zum Vergleich: Ein Kilo Brot kostete 1924 60 Rappen.
[3] Die Herbergen befanden sich in Arosa, Bachs ZH, Chur, Ebnat-Kappel, Fischingen TG, Frauenfeld. Hinter-Hörnli ZH, Glarus, Rein b. Brugg, Rüti (2 Herbergen, getrennt nach Mädchen und Jungen)
[4] Vgl. 50 Jahre Verein für Jugendherbergen, 1974, S. 8.
[5] Vgl. 50 Jahre Verein für Jugendherbergen, 1974, S. 9.
[6] Vgl. Eva Kraus, Das Deutsche Jugendherbergswerk und seine Gleichschaltung durch die Hitlerjugend (1909-1933), Dissertation Universität Paderborn 201, S. 146.
[7] Brief des DJH-Reichsverbandes an das Auswärtige Amt, 5.12.1928, in: AA PolitA, Inland I – Partei/Jugendbewegung, R 98909. Vgl. auch den Brief des DJH-Reichsverbands an die Niederländische Jugend-Herbergs-Centrale, 23.1.1930, in: AdJb, Best. 201 DJH, A-410. Zit nach: Eva Kraus, Das Deutsche Jugendherbergswerk und seine Gleichschaltung durch die Hitlerjugend (1909-1933), Dissertation Universität Paderborn 201, S. 146.
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