Die Schweizer Jugendherbergen müssen sich in der globalisierten Welt zurechtfinden und sind dem Wettbewerb und neu sensibilisierten Gästen aus aller Welt ausgesetzt. Finanziell wird es eng.
«Einst gab es in der Schweiz über 200 Jugendherbergen. Sie waren derart entlang von Wanderetappen aufgereiht, dass die wanderfreudige Jugend überall auf Unterkünfte stiess. Doch innerhalb der letzten achtzig Jahre hat sich die Nachfrage verändert – eine
Tatsache, die uns bewog, eine neue Netzwerkstrategie zu entwickeln. Den Gesetzen des Marktes können auch wir, als Nonprofit-Organisation, uns nicht entziehen.»[1]
Schweizweite Fusion
Der Tourismus hat sich zusehends verändert, so dass auch die Jugendherbergen nicht an tradierten Modellen festhalten können. Um die eigene Veränderung anzugehen, erarbeiten sie sich in einem partizipativen Verfahren ein neues Leitbild. «Jugi 2005» heisst das Resultat, das im Februar 1992 bereitsteht, erarbeitet mit Unterstützung des Forschungsinstituts für Freizeit und Tourismus der Universität Bern.
Das daraus resultierende Marketingkonzept setzt hoch gesteckte Ziele: Die Leistungen sollen «hohen ethischen, kulturellen und materiellen Qualitätsanforderungen genügen». Ganz wichtig ist dabei, dass weiterhin preiswerte Leistungen angeboten werden können. Und um quasi die Quadratur des Kreises zu erreichen, will man auch den steigenden Qualitätsansprüchen gerecht werden.
Fünf Punkte stehen nun im Vordergrund: Neue Standorte müssen an einer touristisch attraktiven Lage liegen, es dürfen keine Konkurrenzsituationen mit anderen Jugendherbergen geschaffen werden und es soll ein Interesse der öffentlichen Hand an jedem neuen Haus erkennbar sein. Die Zahl der zu erwartenden Übernachtungen muss bei mindestens 10’000 pro Jahr liegen.
Jedes bestehende Haus soll klassifiziert werden, vorgeschlagen werden sechs verschiedene Typen: Durchgangsherbergen, Romantik-Herbergen, Familien-Herbergen, Sport-Freizeit-Herbergen, Seminar-Herbergen und Gruppen-Herbergen. Die Neubauten müssen sich auch in diese Klassifizierungen einordnen lassen, überdies nach möglichst ökologischen Grundsätzen und barrierefrei errichtet werden. Daneben gibt es Renovationsziele, damit in einer ersten Runde die Minimal-Qualitätsstandards erreicht werden. Um all das angehen zu können, sind die Mitarbeitenden gefordert. Ganz im Geiste der 1990er-Jahre sollen sie zum Beispiel durch «wettbewerbsähnliche Veranstaltungen» und Kreativitätsseminare gefördert werden. Bei so vielen Vorhaben kommt es gerade recht, dass 1991 eine Rekordzahl an Übernachtungen erzielt wird: 945’174 sind es in der ganzen Schweiz.
Ein wichtiger Schritt für die Umsetzung des Leitbildes ist im Jahr 1991 die erste Fusionsetappe, in der sich die Kreise Zürich, Nordostschweiz, Bern, Ostschweiz Neuenburg und Waadt zum Verein Schweizer Jugendherbergen zusammenschliessen. Ab 1994 gibt es eine zentrale Verwaltung in Zürich und allen ist bewusst, dass nun dringend die Infrastrukturen angepasst und auf den neusten Stand gebracht werden müssen.
Schon vorher musste sich die Schweizerische Stiftung für Sozialtourismus überlegen, was sie nach dem ersten Zusammenschluss regionaler Herbergen-Vereine mit den 35 Liegenschaften, die sie plötzlich im Portfolio hatte, anfangen soll. Im «Bauhandbuch 2005» – einer Architekturbibel, die auf den Werten des Organisationsleitbilds «Jugi 2005» basiert und bis heute Bestand hat – werden kleinere Zimmereinheiten mit mehr Privatsphäre dank Vorzonen, persönliche Ablagen mit Bettenleuchten, ein Bettwäschekonzept bis hin zu einem zeitgemässen Schliesssystem mit 24-Stunden-Zutritt festgelegt. Bezahlt werden kann neu auch mit Kreditkarte. Es gibt grossen Renovationsbedarf, aber dazu fehlt (noch) das Geld.
1996 tritt Fredi Gmür die Geschäftsleitung der Schweizer Jugendherbergen an, und sagt: «Der Tourismus hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert. Stichworte dazu sind die Globalisierung der Märkte, veränderte Wettbewerbssituationen sowie neue Bedürfnisse der Gäste.»[2]
An der Schwelle zum neuen Jahrtausend herrscht eine optimistische Aufbruchstimmung, die roten Zahlen gehen langsam in ein Rosa über und die Schweizer Jugendherbergen schrumpfen sich zusehends gesund. Jahr für Jahr gibt es weniger Standorte bei fast gleicher Besucherzahl. Vermehrt finden die Jugendherbergen mit dem neuen Konzept auch wieder bei Einheimischen Anklang. Unter diesen Vorzeichen feiert der Verein 1999 seinen 75. Geburtstag mit 75 sportlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Events zu den Jugendherbergen, Vergünstigungen und Sonderangeboten und einer Jubiläumsausgabe der Vereinszeitschrift, die seit 1986 «Ticket» heisst.
[1] René Dobler im Interview mit der Zeitschrift Hochparterre 2005, ….
[2] Zit. nach Ticket Nr. 2, April 1999, S. 18.